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New Work im IBK-Raum | Foto von Ken Tomita von Pexels

Jetzt aber wirklich – oder?

Es ist an der Zeit, das Versprechen von New Work ernst zu nehmen.

Jetzt aber wirklich. Jetzt war es soweit. Jetzt würde sich das Versprechen des „New Work“, frei und selbstbestimmt zu arbeiten, endgültig erfüllen. Kurz nach Beginn der Corona-Pandemie gab es nicht wenige solcher Stimmen. Der Zwang zum Homeoffice und die massenhafte Verfügbarkeit von Technologien für dezentrale Zusammenarbeit schienen den Kipppunkt zu markieren, ab dem alles anders sein würde. Längst nicht alles an dieser Prophezeiung hat sich erfüllt, aber die Möglichkeit, dass die Zukunft der Arbeit spürbar anders aussehen wird, ist so groß wie selten zuvor. Entsprechend vielfältig sind die Fragen, die sich auch Hochschulen stellen müssen: in Forschung und Lehre genauso wie als Organisationen.

Team- und Projekträume für Mitarbeitende und Studierende sind selten zu finden.

Eine Ebene betrifft dabei Führungstechniken und Organisationsformen: Wie lässt sich im „Remote“-Zeitalter der Widerspruch von Führung und Selbstständigkeit auflösen? Werden Leistungen und ihre Beurteilungen durch Daten transparenter? Worauf basieren künftig Karrieren? Noch länger im Gespräch, aber unterhalb von Konzernen noch kaum umgesetzt, ist die Neugestaltung des Sozialraums Büro hin zu einer offenen Landschaft, die Teamwork und Kreativität fördert. Das gilt insbesondere auch für Hochschulen: Team- und Projekträume für Mitarbeitende und Studierende sind erst selten zu finden. Aber wie sollen sich junge Talente auf neue Formen des Arbeitens vorbereiten und diese ausgestalten, wenn nicht während des Studiums?

Die Forschung in der Vierländerregion Bodensee liefert spannende Ansätze.

Deutlicher denn je sind daneben psychologische und soziale Aspekte der digital beschleunigten Flexibilität geworden. Führt sie wirklich zu mehr Autonomie oder eher zu mehr Arbeit und Erschöpfung, quasi als Überkompensation der Freiheit? Und wie gestaltet man die Arbeitskultur so, dass auch die alleinerziehende Supermarktverkäuferin davon profitiert? Die Forschung in der Vierländerregion Bodensee liefert hier spannende Ansätze, etwa im Rahmen des HR-Panel New Work der OST – Ostschweizer Fachhochschule.

Gleichwohl: Die Fixierung auf „Wissensarbeiter“ ist ein notorisches Ärgernis des „New Work“-Diskurses. Erst recht, wenn man bedenkt, dass Fritjof Bergmann den Begriff vor 40 Jahren in der Arbeit mit von Entlassungen bedrohten Bandarbeitern in Amerikas damaliger Autohauptstadt Flint prägte. Damit verbunden wäre es dringend an der Zeit, sich von der zunehmend realitätsfremden Haltung zu verabschieden, dass spätestens mit Mitte 50 das Karriereende besiegelt ist.

Über all dem steht ein Anspruch, mit dem Bergmanns Ursprungsversion von „New Work“ begann und der trotz „Sabbaticals“ und „Corporate Purpose“-Workshops heute genauso radikal klingt wie damals: Menschen darin zu stärken, herauszufinden, „was sie wirklich, wirklich wollen“ – und ihnen dann dabei zu helfen, damit ihr Leben zu gestalten.


Von Jens Poggenpohl

Jens Poggenpohl ist freier Journalist und beobachtet für die Internationale Bodensee-Hochschule Bildung, Wissenschaft und Forschung in der Vierländerregion Bodensee.

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