Die Schweiz hat eine lange föderalistische Tradition, zu der auch die Selbstbestimmung gehört. Immer wieder haben sich die Schweizer gegen fremde Herrschaften gestellt, weil sie sich keiner Macht unterordnen wollten. Dies steht etwa im Gegensatz zu Frankreich, welches eine zentralistische Tradition hat. Die helvetischen direktdemokratischen Institutionen sind deshalb so stark, weil sie Teil der Schweizer Kultur sind.
Es ist eine grössere Herausforderung, ein neues System einzuführen als das erprobte System weiterzuführen
Das soll nicht heissen, dass dieses nicht etwa auch in Österreich implementiert werden könnte. Allerdings ist es eine grössere Herausforderung, ein neues System – und im Falle der direktdemokratischen Instrumente ein neues Selbstbild – einzuführen, als das erprobte System einfach weiterzuführen. Es darf hierbei nicht vergessen werden, dass alle Länder der Bodenseeregion starke demokratische Kontrollen haben. Aber die Initiative und das Referendum, mit welchem die Stimmbürger entweder neue Verfassungsartikel hinzufügen oder Gesetze verwerfen können, sind Komponenten, mit welchen sich die Verantwortung von den gewählten Politikern hin zu den Wählern verschiebt. So kann man sich in der Schweiz auch nicht über die «volksfernen Politiker» beschweren, wenn ein Entscheid von der Bevölkerung mitgetragen wird.
Die direkte Demokratie ist alles andere als fehlerfrei
Doch kann die direkte Demokratie überall funktionieren? Sie bedingt eine politikinteressierte, gebildete Bevölkerung, welche sich ihrer Verantwortung bewusst ist. Sie ist zudem alles andere als fehlerfrei: auch in der Schweiz gibt es eine niedrige Wahlbeteiligung, welche das Risiko der Übervertretung gewisser Bevölkerungsgruppen in sich birgt. Zudem müssen Entscheide von der Politik wie anhin umgesetzt werden – ein Prozess, welcher nicht immer auf Zustimmung stösst, wie etwa die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative von 2014 zeigt. Auch ist die direkte Demokratie ein langsamer Prozess, welcher sich über Jahre hinwegziehen kann. Somit kann man zwar die Entwicklungen in anderen Ländern besser beobachten, aber hinkt dadurch der internationalen Entwicklung hinterher.
Es besteht nicht die Gefahr, dass eine Partei die Politik 4 Jahre lang eigenhändig bestimmt
Andererseits sind die politischen Entscheidungen demokratisch solide legitimiert. Durch den direktdemokratischen Prozess werden viele Stimmen in die politische Diskussion mit einbezogen und wird so dem mehrheitlichen Volkswillen gerecht. Es besteht nicht die Gefahr, dass bei der absoluten Mehrheit einer Partei oder von Parteien gleicher Gesinnung, diese die Politik 4 Jahre lang bestimmen. Vielmehr werden diese Parteien durch die Abstimmungen entweder gestärkt oder in Schach gehalten. Dies führt dazu, dass sie sich bei jeder Entscheidung Gedanken über ihre Wähler und die Lage im Land machen müssen. Auch wenn die direkte Demokratie eine Herausforderung für andere Regionen im Bodenseeraum darstellt, ist sie doch im Sinne der eingangs erwähnten Subsidiarität, in der das Volk als kleinster Nenner im System die obere Hand hat, ein gut funktionierendes System. Ein guter Ansatzpunkt bei dieser Debatte wäre jedenfalls die systematische Berücksichtigung der Bürger und der aktuellen Lage.
Die Frage stellt sich auch, wer an der direkten Demokratie beteiligt wird? Ebenso welche Formen der direkten Partizipation es gibt. Hier haben Baden-Württemberg und Vorarlberg ebenfalls viel Interessantes zu bieten.
Demokratie ist ein gesellschaftlicher Prozess, in den alle Stimmbürger miteinbezogen werden sollten. Dies ändert sich auch mit der Form der direkten Demokratie nicht. Diese kann aber in sehr unterschiedlichen Formen ausgeübt werden – in der Schweiz etwa kennen wir Initiativen, Referenden, und periodische Abstimmungen. Direkte Demokratie kann aber auch alternative Formen annehmen, welche verschiedene andere Regionen kennen.