Die „goldene Ära der Massenpolitik“ verdankte ihre Existenz vor allem den polarisierenden Konfliktlinien, die die damalige Gesellschaft spalteten und in die Arme von einigen wenigen grossen Parteien trieben. Die sogenannte „Cleavage-Theorie“ nennt dabei Gegensätze wie Stadt und Land oder Kapital und Arbeit als einflussreiche Faktoren auf die jeweilige staatliche Parteienlandschaft.
In Österreich sprach man nach dem zweiten Weltkrieg sogar von „Lagermentalitäten“, also von einem intergenerationalen Zugehörigkeitsgefühl zum sozialistischen oder christlich-sozialen Lager. In Deutschland und Liechtenstein verhielt es sich ähnlich, wodurch deren dominante Parteien ihren Status über Jahrzehnte hinweg stabilisieren konnten.
Neue Zankapfelpflücker
Doch diese Konfliktlinien wurden in den letzten Jahrzehnten merklich kleiner, vorwiegend durch die neuen Möglichkeitsräume, die von Globalisierung und Digitalisierung eröffnet wurden. Neue Ideen und politische Konfliktgegenstände machten sich in den Köpfen der Menschen breit. Durch die Ernte dieser zeitgenössischen Zankäpfel löste sich die Bevölkerung von den „verknöcherten“ Parteien, deren ehemalige Raison d’Être langsam in den Hintergrund rückte.
Dadurch schwenkte die Wählerschaft vom dominanten parteiorientierten „party voting“ hin zu einer verstärkt themenorientierten Art des Wählens, zum sogenannten „issue voting“. Das Entstehen von neuen Politikfeldern, wie etwa Ökologie und Migration, führte schlussendlich zu einer Fragmentierung der Parteiensysteme – eine Entwicklung, die auch die Länder der Bodenseeregion heute betrifft. Dabei lassen sich in allen vier Ländern ähnliche Entwicklungen beobachten, nämlich die Entstehung oder das Erstarken von linksgrünen sowie nationalkonservativen Parteien.
Wogen der Veränderung
Das „Dealignment“ der Bevölkerung von den Altparteien brachte also eine Pluralisierung des Parteienangebots mit sich und trägt heute noch zum Stimmenwachstum der Neuparteien bei. Dass es sich bei dieser Entwicklung nur um eine rebellische Phase der besagten demokratischen Systeme und ihrer Wählerschaften handelt, ist unwahrscheinlich. Wohl eher haben wir es mit einem langfristigen Prozess des Heranwachens zu tun, der momentan noch in den Kinderschuhen steckt.
Besonders in der Schweiz und im trägen politischen System Liechtensteins zeichnete sich mit dem Erstarken der grünen und rechtspopulistischen Parteien ein Trend ab, der sich in den kommenden Jahren voraussichtlich nicht umkehren wird. Und auch in Deutschland und dem ehemals von der „Lagermentalität“ geprägten Österreich – wo die Grünen nun Teil der Regierung sind – scheint diese Entwicklung ein dauerhafter Besucher zu sein.
Eine wechselhaftere Wahlgesellschaft und von neuen Belangen und Themen geprägte politische Kulturen brechen als heraklitische Flut über die Parteilandschaften Europas. Ihre Wogen der Veränderung schwappen dabei auch an die stillen Ufer der Bodenseeregion, deren Altparteien die Hälse in alle politischen Richtungen strecken müssen, um nicht in ihnen unterzugehen.
Spannender Beitrag. Bin nicht einverstanden, dass in der Schweiz rechtspopulistische Parteien erstarken. Die SVP hat den Zenit längst erreicht. Allerdings das Denken dieser Gruppierung hat sich in den Köpfen bis weit in die Mitte festgesetzt.