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Plädoyer für ein neues Zeitalter des Zuges | Foto von Ingo Joseph von Pexels

Plädoyer für ein neues Zeitalter des Zuges

1957 kamen die damals höchst-futuristischen Züge des Trans-Europ-Express (TEE) erstmals auf die Schienen Europas. Ihr Betrieb war in Zusammenarbeit verschiedener (west-)europäischen Staatsbahnen organisiert: die belgische SNCB, die niederländische NS, die Deutsche Bahn, Frankreichs SNCF, Italiens FS und die Schweizer SBB.

Europa befand sich mitten im Wirtschaftswunder und man wollte die grossen Städte mit schnellen und komfortablen Direktzügen verbinden, die mit Auto und Flugzeug konkurrieren könnten. Der Betrieb des TEE wurde in den späten 80er Jahren eingestellt. Darauf folgte in den 90ern die Privatisierungswelle der Staatsbahnen, die das Zugfahren in den Hintergrund drängte. Der motorisierte Individualverkehr wurde erneut zum zukunftstüchtigsten Verkehrsmittel bestimmt, und man empfand Autos als notwendige Voraussetzung für menschliche Freiheit und Individualismus.

Der TEE-Zug im HB Zürich im Jahre 1957

TEE-Züge – vom Relikt …

Heute stehen nur noch einzelne restaurierte TEE-Zugwagen in Europa, für Erlebnisfahrten oder in Bahnmuseen. Dass die Züge mittlerweile Kultstatus erworben haben, hat auch damit zu tun, dass sie Relikte aus einer Zeit sind, in der Eisenbahnen als Träger der Moderne noch viel Faszination auslösten. Auch sind sie Relikte einer Zeit, in der mit viel Euphorie und Idealismus das europäische Integrationsprojekt vorangetrieben wurde. Neue Technologien wie die TEE-Züge trugen mit sich die Hoffnung, die Völker Europas auch im übertragenen Sinne näher zu bringen.

… und Flickenteppich …

In vielen Hinsichten besteht heute die Chance für ein neues grosses Zeitalter des Zuges. Durch die Klimabewegung steht Autopolitik und Luftverkehr stark unter Kritik und das Zugfahren als klimafreundliche Alternative für Fernverbindungen wird wieder zukunftstauglich. Dazu trägt auch der Hochgeschwindigkeitszug bei. Als solche zählen Züge die mindestens 200 km/h fahren. Die erste europäische HG-Verbindung wurde bereits 1978, zwischen Florenz und Rom, eingeführt. Heute gibt es auf dem Kontinent bereits über 10 000 km an HG-Strecken. In diesem Netz gibt es bereits viele grenzüberschreitende Stadtverbindungen. Verkehrt man zum Beispiel zwischen Zürich und Paris, braucht man mit dem Auto ganze sieben Stunden, mit dem Schnellzug sind es nur vier. Das Problem ist, dass Schnellzüge reine nationale Angelegenheiten geblieben sind. Die EU besitzt keinerlei legale Werkzeuge, um Schnellzugstrecken mitzugestalten. So bleibt das europäische Schnellzugnetz an vereinzelten Strecken der Mitgliedstaaten noch ein unvollkommener Flickenteppich. Dass dadurch längere Verbindungen oft schlecht sind, erklärt wieso das Flugzeug für viele die beliebtere Option bleibt.

… zum transeuropäischen Netz

Trotzdem träumen viele Menschen immer noch davon, Europa ohne Flugzeug oder Auto zu bereisen. Was es jetzt braucht, ist etwas Mut, den nationalen Egoismus zu vergessen und pan-europäisch zu denken, wenn es um das Planen neuer Zugstrecken geht. Die Staatsbahnen könnten sich in die Tradition des TEE stellen und ein Netz schaffen, das für einen transeuropäischen Verkehr konzipiert ist. Letztes Jahr haben wir aus Schweden den wertvollen Begriff «Flugscham» importiert. Was es nun im Gegenzug bräuchte – im wahrsten Sinne des Wortes – ist eine neue Wertschätzung für unsere Eisenbahnen.

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Leander Lelouvier

Leander Lelouvier (21) ist gebürtiger Südtiroler, hat in den Niederlanden internationale Beziehungen studiert und wohnt heute in Zürich, wo er als freier Journalist schreibt. Am meisten interessiert er sich für die lokalen Auswirkungen globaler Entwicklungen. Wie diese die Bodenseeregion prägen, dem wird Leander im kommenden Jahr für SichtWeisen nachgehen.

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