SichtWeisen

Gastbeitrag: Hochschulen als Motor der Creative Economies

Urbanität ist einer der wichtigen Faktoren für eine starke Kreativwirtschaft. In der Vierländerregion ist fast jeder zehnte Beschäftigte Teil dieser Branche.

Er ist zweifacher Studienabbrecher, hat als Elektroniker und Verkäufer gearbeitet, war Dozent und Technischer Leiter am Jazzseminar Dornbirn. Heute ist Roman Rabitsch Geschäftsmann. „Aber eigentlich“, sagt er, „wollte ich immer Musiker werden“.

Die Musik war es auch, die den Impuls für seine Geschäftsidee gab. „Den Klang, den ich im Ohr hatte, wollte ich immer gleich abspielen“, erinnert sich Rabitsch. Aber Streaminglösungen waren dafür zu langsam. Also bastelte er sich selbst eine Speicherkarte für den PC. Die zeigte er in Tonstudios. Die Idee sprach sich herum, und 2011 gründete Rabitsch schliesslich Angelbird. Heute hat das Unternehmen 25 Mitarbeiter*innen, erzielte 2020 einen Umsatz von 10 Millionen Euro und ist bei Fotograf*innen, Filmemacher*innen und anderen Medienschaffenden rund um den Globus ein Begriff für hochwertige Speichermedien.

Die Speichermedien des Lustenauer Unternehmens Angelbird sind bei Kreativschaffenden in der ganzen Welt beliebt.

Eine schräge, jedenfalls sehr individuelle Karriere, mag man meinen. Und doch ist sie nicht untypisch für den Sektor, in dem Rabitsch tätig ist: Denn Passion und Performance, kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Aspekte sind in der Kreativwirtschaft nur schwer zu trennen. Das macht es schwer, sie zu fassen, und dies ist sicher einer der Gründe dafür, dass man die Bedeutung der „Creative Economy“ gemeinhin unterschätzt. Dabei ist fast jeder zehnte Job in der Vierländerregion in diesem Feld angesiedelt. Zwei Drittel dieser künstlerischen/künstlerisch tätigen Spezialist*innen verdienen ihr Geld ausserhalb von Agenturen, Verlagen und sonstigen „typischen“ kreativen/gestalterischen Arbeitgebern.

Diese Zahlen stammen aus dem „Kreativwirtschaftsbericht Bodensee“, einem Projekt der Internationalen Bodensee-Hochschule (IBH). Der Bericht hat die vielfältige Landschaft erstmals umfassend kartografiert und dabei so manch überraschende Erkenntnis zutage gefördert. So verfügt die Vierländerregion Bodensee über eine auch im europäischen Vergleich überdurchschnittlich hohe Dichte an Kreativen – und dies nicht nur an Hot Spots wie Zürich.

„Die Hochschuldichte dürfte hierfür ein wichtiger Einflussfaktor sein“, vermutet Christoph Weckerle, Direktor des Departements Kulturanalysen und Vermittlung der Zürcher Hochschule der Künste. „Sie fördert Cluster, sorgt für Biotope der Vernetzung und schafft Freiräume für Experimente.“

Die zweite wichtige Erkenntnis, nämlich der bereits erwähnte hohe Anteil der in nichtkreativen Branchen eingebetteten Kreativen/KünstlerInnen, verdankt sich einer methodologischen Innovation: nämlich dem Fokus auf Tätigkeiten und Berufen anstelle von Branchen. „Konventionelle Branchenansätze können die Vielfalt der Beschäftigungen und deren ökonomische Bedeutung nicht in den Blick bekommen“, erklärt Projektleiterin Janine Schiller.

In absoluten Zahlen ausgedrückt: Im Jahr 2015 arbeiteten in der Vierländerregion rund 457’000 Personen in der Creative Economy, und von den 271’000 Personen mit einem kreativen Beruf verdienen 173’000 ihr Geld ausserhalb der Creative Industries. „Etwas überspitzt könnte man sagen, dass der Schauspieler, der Workshop-Formate für das Storytelling von Unternehmen entwickelt, typischer ist als die Grafikerin in einer Werbeagentur“, so Schiller.

Drittens auffällig ist die relativ hohe Anzahl an hidden champions – so wie Angelbird, das auf der Webseite mit viel Selbstironie verkündet, nach wie vor in „Lustenau, Austria“ zu produzieren: „Ever heard of it?“ Die meisten Kunden dürften diese Frage verneinen, doch Roman Rabitsch empfindet Vorarlberg dennoch als idealen Standort: „Ich habe hier ein hochkarätiges kulturelles Angebot und trotzdem weniger Ablenkung als in Metropolen. Die Netzwerke bestehen langfristig und haben Handschlagqualität, und ausserdem leben wir im Silicon Valley Europas.“

Dass es ratsam wäre, weniger über als mit den Kreativen zu sprechen, darüber sind sich in den IBH-Projekten wohl alle einig. „Was die Creative Economy angeht, braucht es andere Förderlogiken und Governance-Ansätze, die sich sehr viel näher an den Akteuren bewegen“, fordert Christoph Weckerle. Roman Rabitsch wünscht sich einen „kreativen Layer“ zwischen Wirtschaft und Politik, gerade bei seinem Herzensthema: einer Bildungspolitik, die Neugierde und Leidenschaft fördert. Aber ist er selbst nicht das beste Beispiel dafür, dass man auch anders Erfolg haben kann? „Nein“, winkt Rabitsch ab. „Das war alles reiner Zufall.“

Von Jens Poggenpohl

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