SichtWeisen

So geht Bildung heute: Die Tekkies und die Sprache

Alle reden von MINT-Kompetenzen (MINT = Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) – zu Recht. Doch auch umgekehrt brauchen Ingenieur*innen und Informatiker*innen heute mehr als nur ein tiefes Verständnis von Technik. Noch viel wichtiger für einen ganzheitlichen Bildungsansatz ist eine besondere Fähigkeit: die Kommunikation mit Menschen.

Mit der These, die Geistes- und die Naturwissenschaften seien nicht nur zwei verschiedene Kulturen, sondern „Galaxien“, zwischen denen eine Verständigung fast unmöglich sei, machte der britische Physiker C.P. Snow vor gut sechs Jahrzehnten Furore. Snows These wurde viel kritisiert, aber bis heute darf man Studierende ganz grob in zwei Gruppen unterteilen: die „Irgendwas mit Menschen“- und die „Irgendwas mit Maschinen“-Fraktion.

Doch in die Fronten kommt Bewegung. Zum einen deshalb, weil die umfassende Digitalisierung mehr MINT-Kompetenzen erfordert: sei es im schulischen Unterricht oder in der Weiterbildung. Zugleich sorgt die massive Veränderung in der Arbeitswelt auch auf Seiten der „Tekkies“ für neue Anforderungen in der Bildung. Interdisziplinarität, Diversität und Agilität sind einige der bekannten Schlagworte, die eines gemeinsam haben: Wer sie mit Leben füllen will, muss mit Menschen sprechen.

Für Ingenieur*innen und Informatiker*innen ist dies eine Herausforderung. „Sie verstehen Sprache häufig als Werkzeug, das einen Zweck zu erfüllen hat“, weiss Oliver Winkler, Germanist und Linguist an der ZHAW in Winterthur. Was dabei nicht in den Blick kommt, sind ästhetische-stilistische Dimensionen, die aber von hoher Praxisrelevanz sind: um in Teams zurechtzukommen, Empathie auszudrücken oder komplexe Sachverhalte für Laien verständlich auszudrücken. Auf höchstens 10 % schätzt Winkler den Anteil sprachlicher Ausbildung in den Ingenieursausbildung der Vierländerregion. Ein genaues Bild soll das von ihm geleitete IBH-Projekt „Professional Literacy“ bieten. Fest steht für Winkler schon jetzt, „dass wir mehr Module brauchen, die an die Praxis anknüpfen“.

An der HTWG Konstanz gibt es solche neuen Lehrinhalte schon seit geraumer Zeit. „Agiles Projektmanagement“ heisst das Modul, das im Rahmen des IBH-Labs Seamless Learning entwickelt wurde. Hier pendeln Masterstudierende der Informatik zwischen Hörsaal und Realität und bearbeiten nach einer Theoriephase in Form von Teams konkrete Aufgaben von Unternehmen. Das Feedback aller Beteiligten ist „überwältigend“, freut sich Ralf Schimkat, Professor für Gesundheitsinformatik an der HTWG. Plötzlich begreifen Studierende, dass im Projektalltag der Umgang mit fehlender oder verspäteter Information genau selbstverständlich sein muss wie jener mit merkwürdigen Kundenwünschen. Und die Unternehmen lernen Talente kennen, für die die zwei Kulturen eben nicht zwei Galaxien sind.

Von Jens Poggenpohl

Service Box

Weitere Informationen zu diesen Projekten von Hochschulen aus der Vierländerregion Bodensee finden Sie hier: Professional Literacy und Seamless Learning

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