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Wie weit sind wir bei der politischen Meinungsäusserung für Menschen mit Behinderung?

Obwohl die Schweiz auf dem Papier Menschen mit Behinderung ihre Meinungsfreiheit und politische Partizipation zusichert, müssen auf allen Staatsebenen noch grosse Defizite aufgearbeitet werden, um dies erreichen zu können.

Artikel 21 der UN-Behindertenrechtskonvention anerkennt explizit das Recht von Menschen mit Behinderung auf freie Meinungsäusserung und Meinungsfreiheit. Dazu gehört unter anderem der Zugang zu Informationen, welcher in einer direkten Demokratie wie in der Schweiz auch wegen der politischen Beteiligung extrem wichtig ist. Auch die Schweiz hat die UN-Behindertenrechtskonvention 2014 ratifiziert. Von der konsequenten Umsetzung sind wir jedoch noch weit entfernt.

Ein konkretes Beispiel sind die politischen Rechte von Menschen mit einer umfassenden Beistandschaft. Bis vor kurzem konnten diese nämlich in keinem Schweizer Kanton wählen und abstimmen. Ende 2020 wurde dies in Genf per Initiative als erstem Kanton geändert. Damit wurde der Stein ins Rollen gebracht; in weiteren Kantonen wird nun über eine Anpassung nachgedacht. Der Prozess verläuft trotzdem zäh, vor allem wenn man bedenkt, dass die beschriebene Ungleichbehandlung ein eindeutiger Verstoss gegen die UN-Behindertenrechtskonvention ist. Diese schreibt das Stimm- und Wahlrecht für alle Menschen mit Behinderung explizit vor.

Die Beispiele der Benachteiligung sind zahlreich

Es gibt viele weitere Beispiele, wo Personen mit Behinderung in der Schweiz in ihrer Meinungsfreiheit im politischen Bereich eingeschränkt werden. So ist zum Beispiel der schleichende Fortschritt beim Thema elektronische Abstimmungen für verschiedene Menschen ein grosser Nachteil. Oder für mobilitätseingeschränkte Personen ist es wegen fehlender barrierefreier Zugänge nicht möglich, in einem Wahllokal abzustimmen. Oder sehbehinderte Personen können die Stimmung- und Wahlzettel nicht ohne Hilfe und somit nur unter Verletzung des Stimmgeheimnisses ausfüllen. Und das vom Bund zur Verfügung gestellte Abstimmungsbüchlein wird vom Staat nicht in leichter Sprache angeboten. Für Menschen mit kognitiven Einschränkungen ist es somit noch aufwändiger, sich richtig zu informieren.

Viele dieser Beispiele geschehen auf nationaler Ebene, doch der Kanton Genf zeigt, dass man auch auf kantonaler Ebene eine Vorreiterrolle einnehmen kann. Denn wie so oft sind eine Menge Regelungen kantonal festgelegt. Und die Barrierefreiheit in öffentlichen Räumen wird zu grossen Teilen auf Gemeindeebene geplant oder eben nicht. Das zeigt: Alle Ebenen sind gefragt, wenn es um die Inklusion und gleichberechtigte Meinungsfreiheit von behinderten Personen in der Schweiz geht.

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Judith Ebnöther

Judith Ebnöther (21) ist für ihr Studium der Politik- und Kommunikationswissenschaften in die Bodenseeregion gezogen. Ihre Interessen sind extrem vielfältig und so möchte sie mit ihren Texten Ideen und Ansichten von verschiedensten Menschen und Thematiken beleuchten.

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Unter «SichtWeisen» werden relevante (Zukunfts)Themen von sechs Jungjournalist*innen professionell aufgearbeitet. «Next Generation Bodensee» möchte mit diesem Projekt der nächsten Generation im IBK-Raum eine politische Stimme geben.