Wenn am Student*innenstammtisch darüber diskutiert wird, was man sich von seiner späteren Arbeit erwartet, so sind Begriffe wie Selbstbestimmung oder Selbstverwirklichung keine Seltenheit. Während es früher aufseiten der Arbeitnehmer*innen vor allem darum ging, sich mit unverzichtbaren Grundrechten auszustatten, liegt der heutige Fokus auf einem gänzlich anderen Aspekt des professionellen Lebens: dem persönlichen, psychologischen Wohlbefinden am Arbeitsplatz.
Der Traum von New Work
Im globalen und digitalen Zeitalter ist die Arbeit des Einzelnen autonom und frei – so etwa der Anspruch der New Work Bewegung des Sozialphilosophen Frithjof Bergmann. Die Digitalisierung ermögliche es den Arbeitenden, Routineaufgaben hinter sich zu lassen und sich stattdessen gesellschaftlich sinnvollen und persönlichkeitsfördernden Aufgaben zu widmen. Gleichzeitig soll die Arbeit nicht mehr ein Hindernis für Individualität und Kreativität sein, sondern sogar ein Katalysator dafür.
Tatsächlich bietet die Digitalisierung des Arbeitsmarktes den Menschen die Chance, diesen Traum einer selbstverwirklichenden Arbeit, der vor einigen Jahrzehnten noch gänzlich utopisch erschien, in die Tat umzusetzen. Gerade im Dienstleistungssektor – der in der Bodenseeregion mit einem Löwenanteil von 73% (Stand 2018) der weitaus grösste ist – versprechen grenzüberschreitende Flexibilität und Vernetzung neue Arbeitsbedingungen hervorzubringen, die einen solchen Wandel ermöglichen.
Schattenseiten der Digitalisierung
Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt und zum Teil bringen gerade jene vielversprechenden neuen Bedingungen unerwünschte Nebeneffekte mit sich. Die Grenzen zwischen Profession und Privatem verschwimmen durch ständige Erreichbarkeit, Mobile Working und Homeoffice und machen die Arbeit damit zu einem allgegenwärtigen Phänomen. Ausserdem rückt die Verantwortung vom Führungspersonal zu einzelnen Arbeitenden, die häufig unter dem doppelten Druck von arbeitsbezogener Leistungserbringung und persönlicher Verwirklichung zu leiden haben.
Abgesehen von diesen individuellen Schwierigkeiten, birgt die Digitalisierung des Arbeitssektors zudem einige potenziell gefährliche Makrotrends. Dazu gehören insbesondere eine wachsende Ungleichheit von materiellem und geistigem Kapital sowie der Verlust von Arbeitsplätzen durch Automatisierung. Um diesen negativen Entwicklungen vorzubeugen, hat die EU 2019 eine hochrangige Expertengruppe damit beauftragt, die Effekte der digitalen Transformation auf europäische Arbeitsmärkte zu untersuchen.
Bereitschaft für Veränderungen
Es ist von grosser Wichtigkeit, dass sich auch die Entscheidungsträger*innen der Bodenseeregion mit individuellen sowie gesellschaftlichen Auswirkungen einer digitalisierten Arbeitswelt auseinandersetzen, um sich für die künftigen Jahrzehnte zu rüsten. Dabei können sie sich an den bereits bestehenden Ergebnissen – wie etwa jenen der EU-Expertengruppe – orientieren oder aber eigene Projekte fördern, die sich mit den konkreten Realitäten der Vierländerregion Bodensee beschäftigen.
Die Digitalisierung kann gerade für die IBK – Gremien ein grosser Vorteil sein, denn die Distanzen zwischen Sigmaringen und Vaduz oder Lindau und Rafz sind weit. Um persönliche Begegnungen wird man nicht herumkommen.